Unsere Campingkolume wirft einmal im Monat einen intensiven Blick auf ein spezielles Thema der schönen, freien Campingwelt. Heute heißt es:
Gehst du noch campen oder „vanlife’st“ du schon?
Eigentlich ist es egal ob vollblut Camper, Backpacker oder Cluburlauber. Wer bis vor wenigen Jahren an den guten alten Campingurlaub dachte, hatte Bilder von bunten Zelten, Bierflaschen und dampfender Glut im Kopf.
Camping in Europa, das stand für kleine italienische Küstenorte, für „Wolfi“, der für sich und die Platznachbarn in Badehose am Grill steht und okay, vielleicht war da auch der ein oder andere Gedanke an eiskalte Morgenstunden im klammen Schlafsack.
Der typische Campingurlaub galt schon immer als einfach und günstig, in dem Kinder Banden bilden und fröhlich über den gesamten Campingplatz turnen. Den Teenager hassen und es nicht erwarten können das eigene kleine Zelt zu beziehen, um dann voller Begeisterung die erste große Urlaubsliebe kennen zu lernen. Genau so galt Camping schon immer als gesellige Reiseform, bei der voller Vorfreude und Bescheidenheit die Thüringer Bratwurst eingeladen wurde, um selbige später in geselliger Runde zu verschmausen.
Der gute alte Campingurlaub, in dem sich Radler samt Zelt, Jugendliche im Gruppenurlaub, Dauercamper samt Gartenzwerg-Laube, Familien im Hochbettwohnwagen und gut situierte Rentnerpaare samt „first class“ Wohnmobil die selben Duschenräume teilen und glücklich Sonne, Strand und Vino genießen.
So war es immer, so hält sich das Bild vom Campingurlaub in den Köpfen und ich bin fest davon überzeugt, auch kommende Generationen werden ihren Campingurlaub genießen.
Doch seit einigen Jahren ist die Campingwelt im Wandel. Die Generation Y geht nicht campen, sie startet den „Vanlife“.
Plötzlich dreht sich das Bild des verstaubten, billigen Familienurlaub, hin zum outdoor Abenteuer im glitzernden 90er Jahre Campingbus. Was früher das Interrail Ticket von „Omma“ zum bestandenen Abitur war, ist heute der gemietete 2 Personen Campingbus für ein ganzes Sextett… wenn, ja wenn vorab der ökologische Drang zum Führerschein groß genug war.
Junge Familien starten zum „Europa Road Trip“ im mini Campingbus, Hund und Herr samt intellektuellen Burnout leben ein Jahr im „vanlife Sabbatical“ und gefühlt jedes 4. Familienoberhaupt, der das System „Deutschland“ schon immer scheisse fand, wird auf einmal zum homeschool Pädagogen-Yogi im Campingbus, der seine Seifenblasenkunst an willige Süd-Europäer verkauft um für den (eigentlich gar nicht benötigten) Lebensunterhalt zu sorgen.
Der spießige Campingurlaub wandelt sich zum stylischen „vanlife“
Immer häufiger stelle ich fest, dass die rostigen Garagen Deutschlands zum supercoolen social media Hotspot werden. Da wird das eigene Bankkonto leer geräumt um die neuste Video Ausstattung, samt „Go-Pro Bier Helm“ und „Drohnen Paket“ zu kaufen, gerne auch bevor es überhaupt dazu kommt, einen halbwegs geeigneten, fahrbaren Untersatz zu ersteigern.
Leider stellen nicht wenige der zukünftigen „Nomaden auf 4 Rädern“ schneller als ihnen jemals lieb sein kann fest, dass der Traum vom glänzenden Van zerplatzt, weil nach dem Kauf der social media geeigneten Videoausrüstung, Ebbe nicht nur an der Küste Niedersachsen zum Thema wird. Doch der clevere Camper von morgen lässt sich so schnell nicht verschrecken. Auch wenn es noch vorzeigbaren Ergebnissen mangelt und stundenlanges Arbeiten eigentlich eh nicht im vanlife Traum enthalten ist, wird noch schnell eine Mail getippt, kopiert und eingefügt an die 27 bekanntesten Van Hersteller geschickt.
„Hallo liebes Team, wir träumen schon unser ganzes leben lang von einer Campingreise in einem ihrer Fahrzeuge. Wir, das sind die kleine Mathilda und Schwester Marie Lou, meine Frau Charlotte, ich Johannes und unsere 4 Hunde. Wir haben durch unsere Studium und der Geburt unserer Kinder harte Monate hinter uns. Aus diesem Grund hoffen wir auf ihre Unterstützung. Es wäre ganz toll, wenn sie uns für 12 Monate eines ihrer Fahrzeuge zu verfügung stellen. Natürlich möchten wir das Fahrzeug von ihnen nicht kostenlos erhalten, gerne stellen wir Ihnen ggf. 1 mal im Monat Bildmaterial aus unserem neuen YouTube Kanal zu verfügung. Noch ist dieser nicht online, aber wir rechnen bereits zum Launch mit einem großen Erfolg. Wir freuen uns über eine zeitnahe Antwort,
ihre Familie Schmitt-Mayer-Hansen-Müller“
Aber selbst in der traumhaft coolen vanlife Welt sind Träume oftmals Schäume!
Sollte den neuen Sternen am Camping YouTube Himmel dieser Wunsch aus unerfindlichen Gründen verwehrt bleiben, muss also doch auf Omas vorzeitiges Erbe zurück gegriffen werden. Doch sobald der alte kleine Kastenwagen, aus der Flotte eines ehemaligen Lieferdienstes erstanden ist, beginnt der Kindheitstraum allmählich wahr zu werden … und täglich grüßt der DHL Fahrer.
Kabelstränge, Solarplatte und Batterie werden aus China eingeschifft, die Wände dank Sperrholzplatten in eine weiße Holzoptik versetzt, das Bierkasten Bett wird zum tollen allround Lebensmittelpunkt und dank eines Waschlappens, des 125 ml Gasbrenners, der Poolnudel-Eimer-Toilette und eines 1,5 Liter Wassertanks, ist die vollkommene Autarkie erreicht.
Denn viel wichtiger als jede weitere Möglichkeit den eigenen Hygienestandard auf ein Minimum zu erhöhen, ist es den neuen „AdVANture“ Instagram Kanal mit lebensechten Bildern zu füllen. Und nachdem auch noch das auf E-Bay erstandene Accessoire „Surfbrett“ auf dem Busdach liegt, kann der große Traum vom Lagerfeuer Abenteuer an portugiesischen Stränden beginnen.
Leider blieb durch den gesamten Stress und die harte Arbeit der vergangenen Wochen keine Zeit übrig, um sich über das Camperleben, mögliche Regeln und Gesetzte zu Informationen, aber warum auch…Freiheit, Lagerfeuer, Abenteuer, das wird doch wohl noch erlaubt sein.
Wunsch und Wirklichkeit!
So handelt also bereits der 8. Instagram Post von super spießigen Parkplatz Nachbarn, eigenwilligen Anwohnern oder biestrigen Ordnungsbeamten, die einfach kein Verständnis für das moderne Nomadenleben haben. Andererseits sind Camping- und Stellplätze sooooo uncool und so gar nicht das, was sich die vanlife Abenteurer normalerweise vorstellen. Mal ganz abgesehen von den Kosten, aber psssssssst… das darf auf keinen Fall zum Thema werden!
Beim Vanlife scheint die Sonne und zwar IMMER!
Lieber wird der eigene Lifestyle mit einer zusätzlichen Yoga Einheit auf Instagram gefeiert, während der „Vanlifer“ mit mißachtendem Blick auf die unkreativen „Joghurtbecher Camper“ und in überflüssigem Luxus lebenden „Dickschifffahrer“ schaut.
So bleibt der Van also mit Sack und Pack auf irgendeinem Küstenparkplatz stehen. Aufgrund des fehlenden Platzes im Fahrzeug, findet das gesamte Leben zwischen Parkplatz und Dünen statt.
Der Einkaufsbeutel wird dank Wasserschlauch und Kanister zur soooooo hervorragenden DIY-Eisdusche und die halbe Instagram Vanlife Welt liest fasziniert mit, wenn es mal wieder heißt, dass dieses Leben für 4 Personen mit allem drum und dran keine 200 Euro im Monat kostet… natürlich ohne irgendetwas missen zu müssen und samt aller Fixkosten!
Instagram… so wird der moderne Camper berühmt!
Die Instagram Welt ist für den modernen Camper enorm wichtig. Denn wer das eine perfekte vanlife Foto mit der Welt teilt, hat ggf. möglicherweise, im besten Fall, zeitnah und solange die Sonne nachts scheint, schon bald die Chance z.B. ein Poster, Fotobuch oder Fotopuzzel zu bewerben. Dies natürlich kostenlos, bzw. im Gegenwert des erwähnten Posters.
Juhu!
Dafür ist es auch vollkommen irrelevant wie die eigene Realität aussieht. So lange sich die Van Türen weit öffnen lassen, sich die Dame des Hauses in ihren Bikini schwingt und zur blauen Stunde, von Mücken zerstochen, auf dem Bierkastenbett räkelt, während das ungenutzte Surfbrett im Schein des Photoshop Lagerfeuers im Hintergrund zu erkennen ist, klatscht die Instagram vanlife Welt Applaus für dieses realitätsnahe Foto und das… ist das aller, aller Wichtigste.
Doch die Wochen und Monate vergehen, mit den vor Ort lebenden Menschen gibt es immer häufiger Probleme, langsam fallen die 362 Klopapierfahnen in den umliegenden Dünen auf und auch der 3 regnerische Tag in folge, hebt nicht unbedingt die Stimmung im kleinen Van. Wenig erheiternd ist auch der Blick auf das Familienkonto. Warum auch immer sind die Monate doch deutlich teurer gewesen, die angestrebten 200 Euro waren maximal ein frommer Wunsch und das, obwohl sie doch viel weniger gefahrenen gesehen haben als gewünscht. Denn fahren kostet Sprit und Sprit ist teuer.
So bleibt es also nicht aus, die coolen Nomaden auf vier Rädern müssen eine Entscheidung treffen. Noch schafft es die „vanlife Familie“ mit den eigenen finanziellen Mitteln zurück nach Deutschland zu reisen. Wenn… ja wenn der alte Van mitspielt.
An diesem Punkt trennt sich die Streu vom vanlife Weizen. Die noch halbwegs realistischen „Vanlifer“ im Dauerurlaub treten den Rückweg an und die unverbesserlichen vanlife Träumer, rufen ihre Instagram Follower zur ersten Spendenaktion auf. “
„Spendet für uns damit unser Traum weiter leben kann. Ab 20 Euro sammelt euch unsere kleine Marie Lou eine original portugiesische Strandmuschel“
Aus Heimat wird Heimfahrt?!
Sobald unsere vanlife Familie wieder zuhause ist und erstmal zusammen mit den Eltern, in deren 2,5 Zimmerwohnung unter kommen, dauert es nicht lange, bis sie der „Ruf der Freiheit“ erneut erreicht.
Doch trotz der wundervollen und durchweg positiven Erfahrungen der vergangenen Monate und dank der gewonnen Zeit durch die Schulpflicht der Kinder und des neuen Jobs als T-Shirt Designers samt eigenem online Shop, ist der „digitale Nomade“ bereit für einen Neubeginn on the Road.
Dank der erneuten Unterstützung durch Familie und Freunden und einer 0% Finanzierung, entscheidet sich der trendige Camper nun doch, für den vorab gehassten „Joghurtbecher auf 4 Rädern“.
Ein richtig uncooles Reisemobil!
Ein großes Bett, die eigene Toilette, eine warme Dusche , ordentliche Wasser- und Abwassertanks und ggf. ein weiteres großes Bett samt Sitzbereich, Tisch und Stauraum sind doch viel netter, als man es jemals zugeben würde.
Mittlerweile kommen auch die Kinder in ein Alter um eigene Wünsche zu äußern, sie sehnen sich nach Freunden und Wasserrutschen und auch die coolsten Eltern finden ein bisschen mehr gemeinsame kinderfreie Zeit gar nicht so verkehrt.
Vanlife trifft auf Campingwelt
Sobald der nächste Sommer kommt sind sie alle wieder „on the Road“. Die Kinder rutschen schon mit den Enkeln der „Dickschiffcamper“ 3 Plätze weiter um die Wette. Während die ehemaligen Vanlifer, die spießigen Wohnmobilbesitzer und die Dickschiff Renter in großer Runde, auf einem kleinen italienischen 4 Sterne Komfort Campingplatz, zusammen sitzen.
… und während Disckschiff Heinzi am Weber-Grill steht, schnappt sich der Familiencamper das Handy, postet ein Bild der großen Runde und schreibt dazu. Die große schöne Campingwelt!
In diesem Sinne!
Isa und das velcocate Team
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